Samstag, 10. September 2011

The Straight Story (USA, UK, FR / 1999)

Genre: Tragikomödie

DER ELEFANTENMENSCH, BLUE VELVET, LOST HIGHWAY, MULHOLLAND DRIVE, DUNE - DER WÜSTENPLANET. David Lynch ist einer der Ausnahmeregisseure Hollywoods. Seine genannten Filme sind beeindruckende Werke und ebenso fesselnd wie verstörend. Sehr besondere visuelle Erlebnisse mit Tiefgang. Kunstwerke, will man sagen. Und THE STRAIGHT STORY fügt sich da gut ein. Es ist ein Roadmovie der eigenen Art. Nicht wie sonst ein mysteröses Werk des Meisters, sondern eine wahre Geschichte. Diese ist jedoch so außergewöhnlich, dass der mysteröse Faktor, der Lynchs Werken immer irgendwie anhaftet doch noch erfüllt wird.

Die Rede ist von Alvin, einem kauzigen alten Mann um dessen Gesundheit es nicht sonderlich gut bestellt ist. Die Jahre machen sich bemerkbar. Der Körper will einfach nicht mehr so wie früher. Mittlerweile sind zwei Gehstöcke seine ständigen Begleiter. Doch solange es noch geht, solange er sich halbwegs fühlt, sieht er keine Notwendigkeit seinen Lebensstil zu ändern. Zigarren werden doch wohl noch erlaubt sein. Und auch andere Genüsse, die auf der Liste der gefährdenden Konsumgüter stehen, werden beibehalten. Und dann hört Alvin von Bruder Lyles Herzanfall. Das macht ihn nachdenklich, wechselt er mit ihm doch schon seit zehn Jahren kein Wort mehr. Und bevor es zu spät ist, will er sich mit Lyle versöhnen. Aber wie zu ihm hingelangen? Schließlich wohnt er über 500 Kilometer weit weg. Und einen Führerschein hat Alvin auch nicht mehr, seine Augen sind zu schlecht. Genausowehnig kann ihn die etwas zurück gebliebene Tochter Rose fahren. Also baut er sich einen recht eigenartigen Anhänger, schnallt diesen an seinen alten Rasenmäher und fährt los. Begibt sich auf eine besondere Reise, gespickt mit Bekanntschaften und Ereignissen. Er macht sich auf den Weg zu Lyle, seinem Bruder. Und wenn sie sich auch nicht gut vertragen, so ist er doch sein Bruder. Denn "Ein Bruder ist ein Bruder".

"Ein Bruder ist ein Bruder" dieser herrliche Satz ist auch ein Fingerzeig auf den Zuschauer. Auf die Zuschauer, die Geschwister haben und mit ihnen aus welchem Grunde auch immer kein Wort mehr wechseln. Was kann so schlimm sein, mit seinem Bruder/seiner Schwester kein Wort mehr zu wechseln? Sich mit ihnen zu verkrachen. Schließlich sind sie unsere Familie.
David Lynch hat sich der skurrilen aber wahren Geschichte angenommen und sie in einen ansprechenden Film gewandelt. Inhaltlich ist THE STRAIGHT STORY auf den ersten Blick banal und man braucht seine Zeit einen Draht dazu zu finden. Doch je mehr das Geschehen voranschreitet, je absonderlicher sich Hauptcharakter Alvin geberdet, je mehr man ihn kennenlernt und erkennt welch Altersweisheit in ihm doch steckt und wie tiefgründig sein Wesen (trotz Einfachheit) ist, je mehr ist man gefesselt. In vielen Dialogen steckt Wahrheit. Aus vielen Szenen kann man lernen. Und die Darsteller, die uns diese Geschichte nahe bringen sind gut dafür ausgewählt. Allen voran Richard Farnsworth als Alvin. Nicht nur aufgrund seines Alters nimmt man ihm den kauzigen Eigenbrödler ab. Auch sein minimalistisches Spiel, was doch so viel erkennen lässt, trägt dazu bei. Und nicht von ungefähr war Farnsworth für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert. Schade dass er diesen nicht gewann und einen solchen wohl auch nicht mehr gewinnen wird. Farnsworth erschoss sich nämlich im Jahr 2000 auf seiner Ranch. Er konnte die Schmerzen seiner schweren Krebserkrankung einfach nicht mehr ertragen. Tragisch. Als sonderbarer Mann, als Bruder von Lyle und Vater von Rose wird er uns in THE STRAIGHT STORY jedenfalls auf ewig in Erinnerung bleiben. Rose, die zurück gebliebene Tochter, wird gespielt von Sissy Spacek, wohl bestens bekannt als Carrie aus CARRIE - DES SATANS JÜNGSTE TOCHTER, einer fesselnden Steven King Verfilmung. Das recht eigene Mädchen spielt sie mit besonderem Engagement und versteht zu punkten. Ebenso wie Harry Dean Stanton als Bruder Lyle. Ihn siehen wir aber lediglich am Schluss des Filmes und auch nur 3 Minuten. Nicht viel zu sagen hat er, doch sein Gesicht spricht Bände. Und wer das vermag, der hat es drauf.
Lynchs Regie ist ruhig und einprägsam. Dafür sorgen zum einen die herrlichen Aufnahmen herbstlicher Natur. Indian Summer. Das Laub der Bäume in den unterschiedlichsten Farben. Hinzu gesellen sich atmosphärische Nachtaufnahmen und ein Sternenhimmel der besonderen Art. Man fühlt sich an DUNE erinnert. Die stillen Impressionen und bedächtigen Kamerafahrten schaffen zudem eine melancholisch nachdenkliche Atmosphäre. Eine Atmosphäre die einen über das Leben nachdenken lässt. Doch darauf konzentriert sich Lynch nicht allein. Er vermag es der Geschichte auch etwas Dramatik zu verleihen. Mit einem gekonnten Schnitt und der jeweiligen Kameraführung. Und zu letzterem sollte dazu erwähnt sein, dafür zeichnet sich Freddie Francis verantwortlich. Kennern der britischen Filmszene ist sein Name wahrlich nicht fremd. Er inszenierte selbst so einige Horrorklassiker für die Hammer Studios und Amicus. Da Francis als Kameramann seine Karriere begann und sein Handwerk meisterhaft versteht (sie seine Filme immer eindrucksvoll verdeutlichten), ist er für den Job auch die denkbar günstige Wahl gewesen. Ich muss sagen, jetzt wo ich es weiß, erkenne ich seinen Stil an der einen oder anderen Stelle. Untermalt wird alles von Angelo Badalamentis gelungenem Score. Einem Score, der hervorragend zum Geschehen passt und sich minimalistisch hält. Etwas anderes wäre auch kontraproduktiv gewesen.

THE STRAIGHT STORY ist ein tiefgründiger Film. Wieder ein besonderes Werk von David Lynch. Kein Krimi, kein Thriller, kein Science-Fiction Film, sondern eine Tragikomödie. Ein Film über einen kauzigen alten Mann, der auf seinem alten Rasenmäher 500 Kilometer weit fährt um sich mit seinem schwer kranken Bruder zu versöhnen. Eine solch wahre Geschichte schreit danach verfilmt zu werden. Und Lynch schafft das sehr gut. Sicherlich braucht es seine Zeit in den langsam startenden und auch sonst sehr ruhigen Film hinein zu kommen. Doch je weiter die Reise fortschreitet, je tiefgründiger wird es. Je fesselnder wird es. Für Freunde schneller Unterhaltung sicherlich nichts. Für jene, die Anspruchsvolles bevorzugen, sollten THE STRAIGHT STORY eine Chance geben.

Wertung: 7,5/10